Nachdem ich die barocke Kleinstadt Eichstätt im Altmühltal hinter mir gelassen habe, zieht es mich in die Großstadt München.
Als Stipendiatin der Steindruckwerkstatt München im Künstlerhaus am Lenbachplatz lebe und arbeite ich für einen Monat im Herzen der bayrischen Weltmetropole. Mein Herz macht gleich mehrere Saltos, als ich die große und geräumige Werkstatt zum ersten Mal erblickte. Ich verstand, dass ich nicht nur die Werkstatt, sondern auch den angrenzenden Küchen- und Schlafbereich für die nächsten vier Wochen als mein temporäres zu Hause betrachten darf.
Steindruckwerkstatt München und Raquel Ro
Jedes Mal beim Betreten einer neuen Werkstatt, fühlt es sich an wie das Eintauchen in einen ganz eigenen Mikrokosmos – reich an Wissen, Erfahrungen sowie der puren Leidenschaft für Druckgrafik und Kunst. Jeder WerkstattRAUM ist dabei geprägt von vielen kleinen Geschichten und von den Menschen, die mit ihrem kreativen Wirken ihre Spuren vor Ort hinterlassen haben.
So auch in der Steindruckwerkstatt München: Eine Werkstatt, die schon viele Menschen aus unterschiedlichen Genres zusammengeführt hat, Künstler:innen und Lithograf:innen aus der ganzen Welt beherbergte und mit jeder neuen Werkstattleitung nicht nur wichtige Impulse in der Steindruckwerkstatt München setzte, sondern auch mit Veranstaltungen über die Stadtgrenze hinaus in die weltweite Lithografie-Szene hineinwirkte. Die Werkstatt ist sehr zentral gelegen und in ihren Räumlichkeiten, Ausstattung und Nutzungsmöglichkeiten besonders. Sei es die hydraulische Presse mit Tischformat von 60x90cm, eine antike Mansfeld-Presse, mit der in einem Format von bis zu 70×90 cm gedruckt werden kann oder das Herzstück der Werkstatt, eine Steinmesse & Stollberg Lithografie-Presse, auf der mit bis zu 80×100 cm großen Steine gearbeitet werden kann. UND natürlich die vielfältige Auswahl an Lithografie-Steine ließ mich aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.
Die Werkstatt wird seit diesem Jahr von Raquel Ro geleitet. Sie gebürtige Katalanin ist in der Welt der Druckgrafik, Buchkunst und Performance beheimatet. Nicht nur ihre Energie und Ideen sind ansteckend, sondern auch die Tatsache, dass sie mir immer mit Rat und Tat beiseite stand, wir Arbeitsweisen und Wissen austauschten, einander zuhörten, hinterfragten, einander schätzten und somit nicht nur eine Freundschaft entstand, sondern auch Möglichkeiten zukünftiger Zusammenarbeit.
Die Welt der Künstlerinnenbücher: „Stone.Love“ – eine Serie entsteht.
Unbewusst habe ich mich mit jedem Werkstattaufenthalt von den vor Ort gegebenen Möglichkeiten inspirieren lassen und diese in meine eigene Arbeit integriert. Jede Werkstatt hat ihre eigenen Herausforderungen und Impulse für mich bereitgehalten. Und ohne es rational wirklich zu verstehen bin ich diesen Impulsen nachgegangen. Raquel hat mich mit ihrer Faszination für Künstler:innenbücher und ihrer geplanten Ausstellung „Edith – zwischen Fanzine und Künstler:innenbuch“ angesteckt.
Ich wusste also, dass ich meinen Aufenthalt einem Projekt widmen möchte, dass Künstler:innenbuch, Lithografie und Papierkunst miteinander verbindet. Das war der Startschuss für meine Suche. Die Suche nach einer Spur, die reizvoll genug ist weiterzuverfolgen. Als Künstlerin fühle ich mich häufiger wie eine Fährtenleserin. Ein intuitives Aufspüren von etwas, von dem ich selber nicht genau weiß, was es eigentlich ist. Doch irgendwann habe ich mich an die Frottage-Technik zurückerinnert. Eine Technik, mit der auch Max Ernst einst arbeitete. Ich habe also meine Fährte aufgenommen und somit die gesamte Steindruckwerkstatt München einmal abfrottagiert – auf der Suche nach DER Oberflächenstruktur. Irgendwann bin ich fündig geworden und meine Serie „Stone.Love“ entstand.
„Stone.Love“ ist eine Serie aus Künstler:innenbüchern und Lithografien, welche die rauen und schönen Rückseiten beschädigter Lithografiesteine erforscht. Vor allem mit meinem Besuch in den Steinbrüchen habe ich eine tiefe Wertschätzung und gewisse Demut gegenüber meinem Arbeitsmaterial – dem Solnhofener Plattenkalk entwickelt. Doch kommt es vor, dass auch diese Steine brechen, abgenutzt oder anderweitig beschädigt werden. Im Laufe der Jahre geraten diese in Vergessenheit, werden als Türstopper oder Bücherstütze verwendet und eignen sich demnach nicht mehr für die Produktion von Künstlerlithografien. Doch gerade diese Steine bargen das Potenzial in sich, wonach ich gesucht hatte.
Ein weiterer Höhepunkt in Verbindung mit Künstler:innenbücher war der Besuch bei Sammler und Buchkunstkenner Rainhard Grüner. Für einen gesamten Abend durften Raquel und ich in seine eigenständige und faszinierende Welt der Buchkunst eintauchen. Wer Interesse hat, kann sich im Rahmen der Ausstellung „Edith“ in der Steindruckwerkstatt München Exponate ansehen. Eine Präsentation der Künstlerbücher-Sammlung Grüner und Fanzines aus dem AAP Archive Artist Publications Hubert Kretschmer geben einen weiteren Einblick in diese wunderbare Welt. Auch ein Teil meiner Arbeit ist vor Ort zu bestaunen.
Lange Nacht der Museen in München und erste Workshop-Erfahrungen:
Im Hinblick darauf, dass ich in der Türkei einen fünftägigen Lithografie-Workshop für junge Kunststudentinnen abhalten werde, kam mir der Workshop von Raquel in der Steindruckwerkstatt ganz gelegen, um ihr über die Schulter zu schauen und erste Erfahrungen zu sammeln. Am 16. Oktober war es so weit. Nicht nur der erste ganztägige Workshop wartete auf uns, sondern auch die anschließende lange Nacht der Museen. Nachdem ich zwei Tage lang Steine geschliffen und gekörnt hatte, freute ich mich riesig auf das gemeinsame Arbeiten mit den Workshop-Teilnehmerinnen und das anschließende „Show“ drucken. Beides war ein großer Erfolg und wurde gut angenommen.
Der weltweit größte Steinkeller
26.634 Steine.
Ja, ganz genau! Ich habe mich nicht vertippt. 26.634 Steine sind im Keller des Landesamts für Digitalisierung, Breitband und Vermessung vorzufinden. Im Vergleich: ich bin stolze Besitzerin von 12 Steinen – da ist also noch ausreichend Platz nach oben. ;D
Die weltweit größte Steinbibliothek steht seit 1980 unter Denkmalschutz und zeigt die Ergebnisse der ersten flächendeckenden Grundstücksvermessung in Bayern. Ab Beginn des 19. Jahrhunderts dienten die Lithographiesteine und Senefelders großartige Erfindung der amtlichen bayerischen Vermessung und wurde bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zur Vervielfältigung und Fortführung von Plänen und Karten verwendet.
Ich bin aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen und war überwältigt, in welchen Dimensionen die Lithografie früher genutzt wurde.