Auf den Spuren der Lithografie. Ein über 200-jähriges, traditionsreiches Handwerk erlernen, bewahren und weitergeben.
Die Reise der Steine
Ankara, my Love!

Ankara, my Love!

Tja, wo soll ich beginnen? Bei den einmaligen Steinformationen in Kappadokien, dem magischen und chaotischen Istanbul oder doch bei den vielen arbeitsreichen Stunden mit Dogu in der Werkstatt? Die genussreichen Raki-Abende, meine erste Workshop-Erfahrung, oder die Ausstellung „Letter to a friend“ mit wunderschönen Lithografien nationaler und internationaler Künstler:innen? Wenn ich meinen Aufenthalt in der Türkei in drei Worten beschreiben müsste, dann sind Lebensfreude, Gestaltungskraft und Gastfreundschaft die Qualitäten, welche meine Zeit und Begegnungen vor Ort am besten umschreiben.

Wie alles begann…

Mit Beginn meiner Crowdfunding-Aktion im Juni dieses Jahres schrieb mich das Dou.Printstudio an und teilten mir ihre ambitionierten Pläne für Senefelders 250. Geburtstag mit. Inspiriert von den Litho-Tagen des Münchner Künstlerhauses hat das vierköpfige Team ein Projekt ins Leben gerufen, welches ihrem Ideengeber in nichts nachstand. Die geplante Ausstellung sollte auch von einem einmonatigen Rahmenprogramm begleitet werden. Und da kam ich mit ins Spiel. Es folgten E-Mails und Zoom-Gespräche und wir merkten sofort: Die Chemie stimmt – die beste Voraussetzung, um gemeinsame Sache zu machen. Ich konnte mein Glück kaum glauben, wissend, dass mich meine Reise der Seine wirklich bis in die Türkei führen sollte. Für mich sollte es das erste Mal sein, türkischen Boden zu betreten. Meine anfängliche Idee, mit dem Zug von München bis nach Ankara zu fahren, verflüchtigte sich leider schnell, da Pandemie bedingt einige Reiseabschnitte nicht bedient werden konnten.Von dem erst geplanten 10-tägigen Aufenthalt wurde auf mein Vorschlag hin schnell ein Einmonatiger und nach einigen Gesprächen wurden auch die Inhalte meines Aufenthaltes klarer:Ein einwöchiger Lithografie-Workshop für Studierende der Bilkent Fine Arts University of Ankara, ein Vortrag über meine bisherige „Reise der Steine“, das Teilen einiger meiner Arbeiten die während dieser Reise entstanden sind, ein Artist-Talk, um über meine Erfahrungen als Gastkünstlerin in Ankara zu berichten und dann noch etwas Studio-Zeit mit Dogu, um neue Arbeiten zu drucken und Wissen auszutauschen. Toll! Wer könnte da nein sagen? Wie es das Schicksal so wollte unterstützte das Goethe-Institut Ankara die Lithodays und auch meinen Aufenthalt. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle.

Letter to a friend – Lithodays in Turkey

Es war ein nahtloser Übergang von der Steindruckwerkstatt München in die türkische Hauptstadt Ankara. Ich landete eine Woche vor Ausstellungseröffnung und war somit sofort im Geschehen involviert. Noch arbeiteten Dogu und Zeynep an dem für die Ausstellung vorgesehenen letzten Auflagendruck der norwegischen Künstlerin Anne Kari Odegard. Dann wurden alle Arbeiten gerahmt, und der Ausstellungsraum vorbereitet. Auch ich durfte einige meiner mitgebrachten Arbeiten präsentieren. Es war eine hektische erste Woche: Rumwuseln, organisieren, irgendwie in der neuen Umgebung und der neuen Werkstatt heimisch werden, andere Sprache, neue Leute und irgendwie steckten mir auch noch die letzten arbeitsreichen vier Wochen in München in den Knochen. Und dennoch ging ich jeden Abend, seeehr spät, aber dafür mit einem unglaublichen Glücksgefühl zu Bett.

Der 5. November rückte immer näher und somit auch die Eröffnung der Ausstellung in der KA-Gallery. Mit dem Titel „Letter to a friend“ (Brief an einen Freund) würdigten sie damit im 250. Geburtsjahr von Senefelder seine Erfindung – die Lithografie. Sie zeigten insgesamt 15 mehrfarbige Lithografien von 10 nationalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern, die von Keramik, Malerei, Bildhauerei bis hin zur Architektur in unterschiedlichen Generes beheimatet sind. Ich war nicht nur beeindruckt von der Schaffenskraft der kollaborierten Künstler:innen, sondern von der Tatsache, dass Dogu all diese Lithografien in weniger als sechs Monaten neben seiner beruflichen Vollzeit-Anstellung als Dozent druckte und mehrmals bis in den frühen Morgenstunden an seiner Presse stand. Auch die anderen Dou.Prinstudio Crew-Mitglieder haben in dieser Zeit enormes geleistet, indem sie sich um die Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit kümmerten und die für das Projekt nötigen finanziellen Mittel organisierten. Unglaublich!

Ausstellungseröffnung Ka-Gallery (Foto@Dou.Printstudio)
Ausstellungseröffnung Ka-Galery (Foto@Dou.Printstudio)

Das Schaufenster, in dem ich meine mitgebrachten Arbeiten präsentierte, war ein Abbild meiner vergangenen Monate auf der „Reise der Steine“. Angefangen mit der Grafik „Brot und Rosen“, die ich zum Auftakt meiner Reise in Zusammenarbeit mit Theresa Wedemeyer und dem Verein für schwarze Kunst druckte, über die Fossilien, die ich in den Steinbrüchen in Eichstätt fand bis hin zu meiner Serie „Stone.Love“ mit Lithografien und Künstlerbüchern, die ich in der Steindruckwerkstatt München entwickelte. Alles zusammen zu sehen ließ mich realisieren welchen Weg ich in den letzten Monaten zurücklegte und was ich den Steinen alles zu verdanken hatte.

Druckkultur in der Türkei

Nach der Eröffnung folgte am darauffolgenden Tag, am 06. November an Senefelders Geburtstag eine Diskussionsrunde über die Editions- und Druckgrafikkultur in der Türkei. Geladen waren hochkarätige Gäste: Bengü Gün, Gründerin der Mixer Art Gallery in Istanbul; Eda Kehale Argün, Vertreterin vom Christie’s Aktionshaus; Bigbaboli Print House, zwei junge und erfolgreiche Druckkünstler:innen aus Istanbul die mit ihrer Werkstatt den Sprung in die Selbständigkeit geschafft haben, Ozan Bilginer Dozent für Malerei und Grafik und Sinan Demirtaş – der wohl bekannteste türkische Lithograf. Es war spannend die unterschiedlichen Charaktere über Druckgrafik und Lithografie sprechen zu hören. Und ich verstand erstmal, dass Deutschland im Hinblick auf Lithografie ein wahres Lollipop-Land ist. Leipzig, meine Geburtsstadt ist bekannt für Krause-Litho-Pressen oder andere lithografische Materialien aus dem Hause Rohrer&Klinger. Und Dresden, die Stadt in der ich die letzten 10 Jahre lebte hat allein schon 3-4 intakte druckgrafische Werkstätten. Außerdem fehlt es nicht an Literatur und Steine werden entweder immer mal in einem Keller gefunden, oder man nimmt den Weg auf sich und fährt nach Solnhofen. Aber in der Türkei gibt es das alles nicht. Dogu hat sich sein gesamtes Wissen über Lithografie mittels Instagram, den Tamarind Büchern und Facebook zusammen getragen. Seine Presse und seinen ersten Lithografie-Stein aus Solnhofen erwarb er nach unzähligen Mühen. Druckgrafikkultur existiert nur im Kleinen. Einige Sammler oder Galerien haben manchmal ein paar Werke zusammengetragen. Jedoch sind Lithografie nur sehr selten darunter vorzufinden. Im Rahmen des Panels und auch anderen Gesprächen wurde immer wieder der Faktor der Einzigartigkeit genannt. Das eine Auflage eine Vervielfältigung des Kunstwerkes ist und dadurch bspw. mit einem Gemälde nicht gleichzusetzen wäre. Jedes mal auf Neue gingen mir dabei die Nackenhaare nach oben. Ich finde es ist wichtig den Begriff Einzigartigkeit neu zu definieren. Denn es bedarf an einzigartigen Steinen und Wissen um eine professionelle Auflage zu drucken. Die am Panel beteiligten Gäste einigten sich darauf auch in Zukunft daran zu arbeiten die originalgrafischen Drucktechniken in der Türkei mehr zu bewerben und zu etablieren.

Die viele Stunden mit Litho-Bruder Dogu

Die Wochen, die nun nach der Eröffnung und dem Panel folgten, waren geprägt von arbeitsreichen Stunden im Studio. Und so ist es schon verrückt mehrere 1000 Kilometer von zu Hause entfernt auf einen Charakter wie Dogu zu treffen. Was uns beide verband, ist die Faszination für Lithografie und das Gefühl in der Werkstatt beheimatet zu sein sowie die Freude am Drucken und eine grenzenlose Neugierde gepaart mit einer unbeschreiblichen Begeisterung zu lernen. Endlich jemand, der sich auch wie ein Kind über Fossilien freut, diese bestaunt und begutachtet und den unermesslichen Wert dahinter zu schätzen weiß. Wir waren hellauf begeistert in dem andern eine Art lithografischen Spielkameraden gefunden zu haben. Bis in die frühen Morgenstunden waren wir in der Werkstatt, druckten, ätzten, schleiften und verbrachten unsere Pausen in unserem Lieblingsrestaurant nebenan. Nach ein paar Besuchen wussten die Betreiber, wie ich meinen Tee am liebsten trank und vermittelten mir damit ein Gefühl der Beständigkeit. Welch Luxus in Zeiten wie diesen. Nach und nach lernte ich die Nachbarschaft kennen, hatte meine Orte und Plätze, grüßte mit meinem schlechten Türkisch die mir schon bekannten Gesichter. Und so stellte sich schnell ein Gefühl von „Ich gehöre hierhin“ ein.

Dogu hat mich in vielerlei Hinsicht inspiriert. Waren meine Druckgrafiken bisher meist ein- oder zweifarbig, wollte ich mich nun dem mehrfarbigen Auflagendruck widmen. In Verbindung mit meiner Vorliebe für Tusche, konzentrierte ich mich während meines Gastaufenthaltes auf mehrfarbige Tuschelithografien und lernte auch, dass Seife ein hervorragendes Hilfsmittel ist, um Flächen auf dem Stein hydrophob (wasserabstoßend) zu machen und eine zweite Farbe zu drucken, ohne dafür erst den Stein erneut zu schleifen. Das habe ich auf jeden Fall ausgekostet.

Eine Besucherin in der Galerie gefragt mich: „What do you feel when you draw on the stone“ – was empfindest du während du auf den Stein zeichnest? Ich hielt inne; überrascht von der Frage und zugleich willens für meine Gefühle die geeigneten Worte zu finden. Und zu meiner eigenen Überraschung stellte ich fest, dass ich mich wie die kleine Olivia von früher fühle. Die mit ihrer kindlichen und verspielten Konzentration, absolut gedankenverloren und im Vertrauen, einfach nur Spaß am Prozess selber, die pure Freude und innere Ausgeglichenheit fühlt. Nicht wertend, nicht wissend wie es am Ende aussieht, sondern einfach nur Freude am Tun in genau diesem Moment. Und ohne es zu ahnen habe ich für mich meine Arbeitsweise als Künstlerin entdeckt. Spielerisch, leicht, unbekümmert und nicht auf ein bestimmtes Ziel hinarbeitend, sondern im Vertrauen, wissend darüber, dass es kein richtig oder falsch geben kann. Es sind wie viele kleine Geschenke, unerwartete Überraschungen, die sich auf dem Stein zeigen und mit denen ich lerne umzugehen. Schon fast wie im echten Leben. 😉

Mein Streben nach Präzession und Genauigkeit sowie vorausschauender Planung sind in anderen Arbeitsprozessen der Lithografie gefragt: Sei es beim Schleifen der Steine, beim Drucken, beim Mischen der Farbe oder beim Ätzen. Und so sind es diese Gegensätze die mich an der Lithografie immer wieder aufs Neue reizen und mir helfen nicht nur die Technik zu entdecken sondern in gewisser Weise auch mich selber.

Die Crew

Ja, das Dou.Printstudio! Dass sind Dogu, Naz, Yazin und Zeynep sowie eine Steinmesse & Stollberg Presse. Jung, motiviert, dynamisch und voller Tatendrang gründeten Dogu und Naz 2019 in Ankara das bisher einzige kollaborativ arbeitende Lithografie-Studio in der Türkei; Yazin und Zeynep holten sie später mit ins Boot. Ihre Vision: In Kooperation mit nationalen sowie internationalen Künstlerinnen und Künstlern eine Druckgrafikkultur in der Türkei etablieren und erfahren was die zeitgenössische Lithografie zu bieten hat. Was mich am meisten faszinierte war die Tatsache wie sich die Vier in diesem Projekt gemeinsam mit ihren jeweiligen Stärken, Qualitäten und Interessen ergänzten. Wie viele kleine Puzzleteile führten sie es zu einem großen Ganzen zusammen. Sei es Dogu, der mit Leib und Seele Lithograph ist und bis in die frühen Morgenstunden an seiner Presse steht und druckt, oder Naz die jeden Moment mit ihrer Kamera einfängt, Projektanträge und Kostenkalkulationen schreibt und nicht nur Herz der vierköpfigen Crew ist, sondern es mit ihrer ausgeglichenen Natur schafft, dass sich alle Beteiligten als ein Teil von diesem großen Ganzen begreifen. Oder Yazin, Kuratorin mit dem richtigen Riecher für die optimale Hängung und Installation von Werken sowie einem guten Gespür für Sprache – unerlässlich für eine gelingende Ausstellung oder einen astreinen Projektantrag. Und dann ist da noch Zeynep – Kunststudentin mit großer Bereitschaft alles über Lithografie zu lernen und gleichzeitig wertvolle Gehilfin von Dogu, wenn es um Auflagenarbeiten geht. Und vielleicht in naher Zukunft die neue Werkstattleiterin des noch im Dornröschenschlaf befindlichen Lithografie-Studio ihrer Kunstuniversität. Somit schafften sie es nicht nur für sich und die kollaborierenden Künstlerinnen und Künstler eine kreative Insel in Zeiten von Unbeständigkeit zu gründen, sondern sie erschufen auch auf lange Sicht einen kreativen Freiraum für Ankara.

Hier könnt ihr mehr über das Studio lesen: https://www.douprintstudio.com/studio

 

Turkey – What a Beauty!

Und zu guter Letzt. Ich war nicht nur in der Werkstatt sondern nutze meine Zeit auch, um das wunderschöne Umland zu erkunden. Da war zum einen Kappadokien: Ungefähr zwei Autostunden entfernt im Herzen von Anatolien, erstreckte sich eine rustikale Landschaft vor meinen Augen die in Schönheit und Anmut ihres Gleichen suchte. Diese Umgebung strahlte eine immense Ruhe und Kraft auf mich aus, dass sich alle Strapazen der letzten Monate in Luft auflösten. Wir tranken Tee, badeten in den warmen Sonnenstrahlen die der türkische November so zu bieten hatte und fühlten uns alle unglaublich geborgen und in Frieden.

Und dann zum anderen war da Istanbul: Die Stadt am Bosporus. Die Stadt die mit ihren Brücken zwei Kontinente verbindet. Laut, chaotisch, schnell und doch irgendwie magisch und verzaubernd. Für ein Wochenende tauchten wir ein in das schillernde Istanbuler Leben. Die Stadt erinnerte mich an mein Jahr in dem ich in Mexiko-Stadt lebte. An jeder Ecke springt dir die Geschichte regelrecht ins Gesicht und fordert ihre Daseinsberechtigung ein. Meine Begleitung, Dogu und Naz kennen die Stadt sehr gut und zeigten mir alle wichtigen Sehenswürdigkeiten. Es war eine schöne Zeit

Wenn ich jetzt hier so vor meinem Laptop sitze und diese intensive Zeit Revue passieren lasse, verstehe ich, dass es nicht nur um den Erwerb von neuem Wissen geht, sondern irgendwie um viel mehr. Vielleicht geht es um Dankbarkeit und Demut gegenüber dem Leben. Dass ich immer mehr zu mir selbst finde, meine Ausdrucks- und Gestaltungskraft als Künstlerin entdecke und auf Menschen treffe, die ich direkt in mein Herz schließe. Mag es auch alles pathetisch und schnulzig klingen, aber es war auch einfach alles pathetisch und schnulzig. Einfach nur so schön und auf jeden Fall war es nicht das letzte Mal für mich in der Türkei!

…. Fortsetzung folgt.

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