Auf den Spuren der Lithografie. Ein über 200-jähriges, traditionsreiches Handwerk erlernen, bewahren und weitergeben.
Die Reise der Steine
Lithografie-Symposium in Tidaholm

Lithografie-Symposium in Tidaholm

Vierundzwanzig Stunden und sieben Tage Lithografie in all ihren erdenklichen Formen und Möglichkeiten. Hauptbestandteil von Gesprächen zum Frühstück, Mittag und Abendbrot, Vorträge und Workshops, Ausstellungen mit Lithografien von Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt. Als ich für das Lithografie-Symposium nach Schweden kam, wusste ich nicht, was mich erwarten wird. Ich kam an und war überwältigt. So viele neue Gesichter, die eigentlich gar nicht so neu waren, weil man sich entweder auf Instagram gegenseitig „followed“ oder in anderen Ausstellungen, Katalogen oder Fachmagazinen großartige Arbeiten sah und nun endlich das dazugehörige Gesicht mit der Grafik verknüpften konnte. Deswegen entstand schnell ein sehr familiäres Gefühl. Man kannte sich und konnte bei der gemeinsamen Leidenschaft für Lithografie, Druck und Kunst ohne Probleme Anknüpfungspunkte finden.

Da muss jeder Stein fotografiert werden 😉

Aber zurück zum Anfang. Nach meinem Aufenthalt bei Eckhard Gehrmann brachte ich die Grafiken schnell zu meinen Eltern und packte meinen Rucksack für die nun kommenden zwei Monate wieder um. Da musste alles dabei sein. Im Sommer aufbrechen und im Herbst erst wiederkommen und von Schweden bis in die Schweiz reisen bedarf guter Planung. Auch Materialien müssen mit und ausreichend Platz sollte auch noch im Rucksack sein, da sich während der Reise immer wieder Zeug ansammelt, was natürlich unentbehrlich erscheint. Und wie so vieles in meinem Leben war auch diesmal wieder der Ausgangspunkt in Dresden. Gemeinsam mit Peter Stephan von der Grafikwerkstatt Dresden ging es früh um sieben nach Schweden. Wir hatten viel zu erzählen und so geschah es, dass die über zehnstündige Fahrt wie im Fluge verging. Endlich in Tidaholm angekommen war ich überwältigt von dem Schloss Helliden in dem wir die nächsten Tage nächtigen sollten. Ursprünglich der Wohnsitz eines reichen Industriellen ist es heute ein Internat, in denen Schülerinnen und Schüler sich in vielfältigen künstlerischen Techniken ausprobieren können. Und da in den Sommermonaten die Räumlichkeiten leer sind, konnten die Lithografieenthusiasten das Schloss für sich beanspruchen. Und die ersten Menschen, denen wir in Tidaholm begegneten, waren natürlich Dresdner. Peter Hofmann, Lehrbeauftragter für Lithografie an der Hochschule für bildende Künste sowie zwei Studierende Sarah und Anna haben auch den weiten Weg auf sich genommen, um bei dem diesjährigen Symposium vor Ort zu sein. Die Schlüssel für unsere Zimmer waren schon im Schlüsselkasten für uns hinterlegt. Wir packten aus, verabschiedeten uns und waren froh, nach einer langen Fahrt endlich in unsere Betten zu fallen.

Überfahrt mit der Fähre nach Schweden
Das Schloss Helliden in Tidaholm

Tidaholm und Lithografie – Warum?
Ja, Tidaholm und Lithografie. Man darf sich fragen, wieso in einer Kleinstadt wie Tidaholm, mitten in Schweden das weltweit einzige Lithografie-Symposium stattfindet. Tidaholm war um 1900 mit der Firma Vulcan der größte Hersteller für Streichhölzer und hat 90 Prozent des weltweiten Bedarfs abgedeckt. Für so eine Firma müssen natürlich Verpackungen und Werbematerialien gedruckt werden. Und das wurde zu diesen Zeiten mithilfe des Steindrucks vollbracht. Die industrielle Vergangenheit der Stadt wird sehr gepflegt und so kam es, dass auch die Lithografie eine besondere Stellung in der Kleinstadt bekam.

In den ehemaligen Maschinenwerkstätten der Vulcan-Streichholzfabrik ist das heutige Industrie-Museum untergebracht und direkt nebenan die Lithografie-Werkstatt. Diese ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt für das Symposium, sondern auch alltägliche Werkstatt für die Schüler:innen der Volkshochschule vom Schloss Helliden. Jedoch sind in Schweden zu der Zeit gerade Sommerferien und somit können wir die Lithografie-Werkstatt ausgiebig nutzen. Und so geschah es, dass in einem vergleichsweise unscheinbaren Ort wie Tidaholm, die Druckgrafik eine Basis für eine gemeinsame künstlerische Kommunikation schafft.

Vorträge und einige Workshop-Highlights

Den kompletten Inhalt des Symposiums wiederzugeben ist fast unmöglich. Jedoch möchte ich an dieser Stelle meine Eindrücke und Erinnerungen schildern. Also, es ging 09:00 Uhr morgens mit den Vorträgen los. Täglich waren ungefähr drei Vorträge geplant und nach der Mittagspause gab es weitere Workshops in der Werkstatt oder man konnte sich eine der drei Ausstellungen anschauen. Die Woche war also sehr gut gefüllt und es wurde nie langweilig. Die zahlreichen Litho-Pressen in der Werkstatt standen auch zum selber drucken bereit. Das diesjährige Motto des Symposiums war „Mexiko“. Somit war nicht nur eine Ausstellung mexikanischen Künstlerinnen und Künstler gewidmet sondern Per Anderson, gebürtiger Schwede, jedoch seit Jahrzehnten in Mexiko arbeitend und lebend sowie Begründer der phänomenalen „La Ceiba Grafica“ hielt einen Vortrag über diese inspirierende Werkstatt in Mexiko. Tatsächlich weiß ich gar nicht an welcher Stelle ich beginnen soll, denn mich hat nicht nur die La Ceiba Grafica beeindruckt sondern auch Per Anderson. Mit seinem gesunden Blick auf die Welt, sein Engagement, sein enormes Talent Vision Wirklichkeit werden zu lassen und sein Sinn für Gemeinschaft inspirierte er mich nachhaltig. Er ist ein Visionär der ersten Stunde, Künstler, Handwerker, Techniker. Seine Positivität ist ansteckend und man spürt er liebt das Leben, ist herzlich und offen im Umgang mit seinen Mitmenschen und hat sich irgendwie unbewusst dem Ziel verschrieben die Welt zu einem besseren Ort zu machen. So ist die „La Ceiba Grafica“ eine Werkstatt für Druckgrafik, Buchkunst und Papierherstellung und bietet die Möglichkeit von Artist-in Residence-Aufenthalten und ein Ort für Gemeinschaft. Und man könnte meinen, dass aufgrund der schwierigen Verhältnisse für Materialbeschaffung in Mexiko manch einer schnell die Flinte ins Korn werfen würde. Nicht aber Per Anderson und seine Crew. Kein Solnhofner Plattenkalk für Lithografie. Kein Problem Per Anderson und Co tüfteln solange dass sie den vor Ort vorgefunden Marmor nutzen, um erstklassige Lithografien zu drucken. Keine gusseiserne Steindruckpressen aus dem Hause Krause, Streinmesse und Stollberg oder Mansfield, ach auch kein Problem. Die Steindruckpressen werden aus Holz einfach selber gebaut. Keine Zeichenmaterialien oder passenden Druckfarben. Egal, wird einfach auch alles selber hergestellt. Papier zu teuer um es zu importieren. Auch kein Problem. Die Papiere werden einfach eigenhändig geschöpft und das dafür nötigen Rohmaterialien für Kozo-Japanpapier auch selber gepflanzt, geerntet, wochenlang verarbeitet, um dann in einem sorgsamen Schöpfungsprozess Bogen für Bogen hergestellt. Per Anderson sah die schwierige Beschaffung von Materialien und Werkzeuge für die Druckgrafik in Mexiko nicht als Hindernis, sondern als Möglichkeit, alles in Eigenproduktion herzustellen, Ressourcen aus mittelbarer Umgebung nutzbar zu machen, im Entstehungsprozess die Menschen vor Ort mit einzubeziehen und ihnen sinnstiftende Arbeit zu geben und somit einfach Spezialisten und Multiplikatoren zu werden. Und so sind mittlerweile 40 lithografische Werkstätten in Mexiko dank des Pioniergeistes von „La Ceiba Grafica“ mit dem für die Produktion nötigen Materialien und Werkzeugen ausgestattet wurden. Sie geben ihr Wissen weiter und haben sich damit in vielen Punkten auch finanziell unabhängig gemacht. Bei so viel Pioniergeist merkte ich gar nicht, wie meine Kinnlade den gesamten Vortrag über offen stand. Einfach nur inspirierend.

Per Anderson zeigt seine eigens kreierte Steindruckpresse.
Ernst Hanke (rechts im Bild) zeigt seine lithografischen Schätze.

Anna Trojanowska hat mich auch aus dem Staunen nicht mehr herausgebracht. Ihre lithografischen Arbeiten sind nicht nur handwerklich unglaublich geschickt und perfekt umgesetzt sondern auch der künstlerische Wert ihrer Arbeit setzt neue Maßstäbe. Sie sind fein, präzise und in einer gewissen Weise unnahbar, kühl und distanzierend und dennoch ziehen sie einen in ihren Bann. Und diese wunderbaren Grafiken fertig sie auf einem Mamorstein in ihrer hauseigenen Werkstatt an. Zwischen Auto, Fahrrädern, bisschen Gerümpel steht eine Presse und darauf der Stein, der direkt an Ort und Stelle geschliffen wird. Sie arbeitet nur mit diesem einen Stein. Sie kennen sich beide in und auswendig. Es hat mich so fasziniert. Es ist nicht immer nötig, die weltbeste Ausrüstung oder die qualitativ hochwertigsten Steine zu besitzen. Wichtig ist – einfach nur machen! Ihre Arbeiten sowie viele weitere Informationen über interessante lithografische Techniken gibt es auf ihrer Internetseite zu sehen. Ich kann nur empfehlen, diese Webseite einmal genauer anzusehen. Da gibt es wirklich viel zu entdecken. www.litografia.pl

Grafiken von Anna Trojanowska
Eine Arbeit von einer tollen Künstlerin aus Dresden - Käthe Weinmann.

Alle Vorträge waren unglaublich interessant. Sei es über die Geschichte der Lithografie-Werkstatt der HfbK Dresden oder Michael Barns Vortrag über Lithografie in den Vereinigten Staaten oder Peter Stephans Vortrag über das mehrfarbige Drucken mit den drei Primärfarben gelb, blau und rot und die unglaubliche Tiefe und Lebendigkeit, die dabei erzielt wird und vieles mehr. Jeder Vortrag war eine unglaubliche Bereicherung und ich bin mit viel neuem Input jeden Abend ins Bett gegangen. Ach ja, ich durfte sogar auch einen Vortrag über meine Reise der Steine halten. Nur habe ich mich im Tag geirrt. Was sich jedoch zum Schluss als sehr hilfreiche Fügung des Schicksals ereignete, denn dadurch hatte ich weniger Angst vor meinem „großen Auftritt“.

Peter Stephan im Gespräch mit Studierenden
Peter Stephan demonstriert Algrafie und die Möglichkeiten diese an einer Tiefdruckpresse zu drucken.

Auch die Workshops haben mich in meinem weiteren Arbeiten sehr inspiriert. Angela Schröder von der Saalpresse aus Berlin zeigte wie sie beliebig viele Male einen Stein verändert ohne diesen zwischendurch abzuschleifen. Sie brannte die vorherige Zeichnung mit Kollophonium ein, veränderte dann die Zeichnung indem sie Teile wegnahm. Sie entsäuerte den Stein mit 12 Prozentiger Essigsäure und konnte dann wieder mit Zeichenmaterial weitere Teile hinzufügen. Eine sehr zügige und effiziente Herangehensweise. Ich nahm mir vor diese Technik in der Schweiz für mich zu erproben.

Angela brennt das Kollophonium ein.
Die beiden Dresdner zeigen ihr geglücktes Ergebnis von einer Negativ-Umwandlung.
Sie zeigt eine 10-teilige Serie die in 5 Tagen entstand.
Ernst Hanke und Patrick Wagner an der Schnellpresse.

So es gibt noch viel mehr zu erzählen, doch der Artikel hat schon wieder überirdische Ausmaße angenommen. Sei es die netten Abende im Pub oder die Ausflüge zwischendurch zum See um die Ecke, die Schnellpresse, die ununterbrochen lief und die vielen schönen Gespräche. Ich weiß, dass es nicht das letzte Mal für mich in Schweden war. Hier gibt es noch viel zu entdecken und gemeinsame Projekte mit anderen Künstler:innen und Drucker:innen zu realisieren. Doch für mich heißt es jetzt erst einmal Abschied nehmen. Ich fahre jetzt weiter in die Schweiz. Einmal quer durch Europa. Ich bin gespannt, was mich wohl erwarten wird.

 

Weiterlesen