Auf den Spuren der Lithografie. Ein über 200-jähriges, traditionsreiches Handwerk erlernen, bewahren und weitergeben.
Die Reise der Steine
Grüzi aus der Schweiz

Grüzi aus der Schweiz

Das erste Mal für mich in der Schweiz. Ja, ich gebe es zu: Die Preise für den ÖPNV oder auch nur für nen Kaffe mit Gipfeli (die Schweizer Version eines Croissants) haben mich manchmal vom Hocker gerissen. Aber die unbeschreiblich schöne Bergwelt, die Wolken, wie sie malerisch zwischen den Gipfeln hingen, der Tanz von Licht und Schatten in den Tälern besänftigte mich in der Hinsicht sehr schnell. Als Stipendiatin durfte ich für einen Monat in der wunderschönen und hervorragend ausgestatteten Lithografie- und Radierwerkstatt im Schloss Haldenstein arbeiten. Lithos drucken und in den Bergen wandern. Gibt es eine bessere Kombination?

Der Blick aus der Werkstatt über den Schlossgarten hinüber zu den wolkenverhangenen Bergen.

Mit holterdiepolter in die Schweiz.

Mein Start in der Schweiz war jedoch etwas ungewöhnlicher Natur. Grund dafür war eine Aneinanderreihung von Ereignissen. Es begann mit der Zugfahrt. Eigentlich habe ich mich auf meine Fahrt quer durch Europa gefreut. Doch leider waren meine Vorstellungen etwas romantisiert. Buch lesen, Hörbuch hören, entspannt aus dem Fenster schauen, meinen Schlafwagen genießen, zeichnen und gedankenverloren schreiben, pünktlich ankommen, alle Anbindungen erreichen keine Zwischenfälle, ja irgendwie halt eine geschmeidige Fahrt mit dem Zug. Die Realität hat mich jedoch schnell eingeholt. In den Sommermonaten von Schweden bis in die Schweiz zu fahren ist ein spannendes Unterfangen. Und so erlag der Zug schon zwischen Göteborg und Kopenhagen einem Böschungsbrand und machte das Erreichen meines Anschlusszuges nach Hamburg leider unmöglich. Aber nach nur läppischen 7 mal Umsteigen bin ich dann auch irgendwann mal früh um drei in Hamburg angekommen und wurde liebevoll empfangen. Frohmutes wollte ich den darauffolgenden Tag mit dem Nachtzug von Hamburg direkt nach Zürich fahren und dabei fein schlafen, in meinem dafür extra (drei Monate vorher) gebuchten Bettchen im Schlafwagon. Leider existierte dieser Wagon nicht. Tja, Pech gehabt. Heute leider für mich nur die überfüllte 6er-Kabine mit kaputter Klimaanlage, dafür aber hervorragend funktionierender Heizung. Bei 35 Grad Außentemperatur genau das was ich brauchte. Mein Frohmut löste sich in meinem Schweiß auf und entwickelte sich zu einer Mischung aus Erschöpfung und Genervt-sein. Von einer Fünf-Sterne-Bewertung sah ich ab. Endlich in Zürich angekommen, zauberte mir ein langjährig Freund ein Lächeln ins Gesicht. Nach einem gemeinsamen Frühstück und schönen Gesprächen fuhr ich weiter nach Chur und bezog mein Zimmer in einer ehemaligen Pfarrerwohnung.

Hier ist aber noch nicht Schluss mit meiner holprigen Startphase. Endlich in Chur angekommen, bekam ich gleich am zweiten Tag nach meiner Anreise Kopf- und Halsschmerzen. Die lange Anreise, der wenige Schlaf, die enorme Sommerhitze und die Anstrengungen der letzten Wochen führten leider dazu, dass sich mein Kreislauf verabschiedete. Leider passierte das 03:00 Uhr früh in der Nacht, als ich gerade einen heißen Tee für meine Halsschmerzen in der Hand hielt. Dann folgte nur noch eine gnadenlose Kettenreaktion: Ich fiel um, schlug mir Gesicht und Kinn an der Tischkante auf und verbrühte mir mein Hinterteil mit meinem Tee (man fragt sich an dieser Stelle: Wie geht das nur?, aber ja, so was ist möglich) und landete dann im Krankenhaus. Als seien eine Verbrennung zweiten Grades am Hinterteil und ein offenes Kinn nicht schon genug, wurde ich auch noch positiv auf Covid getestet. Nach dieser langen Nacht hatte ich einen körperlichen und emotionalen Kater. Aber zum Glück konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen.  Es folgten Tage der gähnenden Langeweile und Isolation. Solche Dinge sind auch Teil einer Reise. Aber wie alles im Leben ist auch diese Phase irgendwann vorbei und es brachen wieder bessere Zeiten an. Danke an diejenigen, die mich in diesen Tagen unterstützt haben

Drucken und die wunderschöne Graubündner Alpenwelt.

Als ich gesundheitlich endlich wieder fit war, genoss ich in allen Zügen die Werkstatt und ging an meinen freien Tagen wandern. Aber bleiben wir bei der Werkstatt. Die Druckwerkstatt Haldenstein bietet die Infrastruktur für Lithografien, Radierungen, Hochdruck mit Bleisatz und Holzschnitt sowie Siebdruck. Die besondere Atmosphäre in den Räumlichkeiten des Schlosses Haldenstein kann nur noch von den umliegenden majestätischen Bergen übertroffen werden. Die Werkstatt wurde vor zwanzig Jahren von dem bekannten Druckgrafiker Mathias Balzer gegründet und heute von einem Verein weitergeführt und bespielt.

Die Mansfeld-Presse im hervorragende Zustand.
Ich hatte tierische Unterstützung.

Die dortige Mansfeld-Lithografie-Presse ließ keine Wünsche offen. Inspiriert von dem Lithografie-Symposium in Tidaholm wollte ich unbedingt die Herangehensweise anwenden, die Angela Schröder in ihrem Workshop präsentierte. Sie verändert den Ursprungszustand von einer Zeichnung auf einem Stein beliebig viele Male ohne diesen zwischendurch abzuschleifen. Es reduziert den zeitlichen Aufwand enorm. Das Prinzip des Hinzufügens und Wegnehmens kann entweder genutzt werden, um eine Serie von verschiedenen Lithografien entstehen zu lassen oder aber diese Herangehensweise bewusst einsetzen, um an einer mehrfarbigen Lithografie zu arbeiten. Und so entstanden fünf mehrfarbige Arbeiten mit dieser Technik. Und nach einem intensiven Jahr des Lithografierens blicke ich auch auf eine umfangreiche künstlerische Entwicklungsphase zurück. Die Lithografie bot mir die Möglichkeit, mich neu zu definieren und in meinem Wesen freier und ungezwungener zu arbeiten. Ich löste mich von der ursprünglichen figürlichen Darstellungen und ich arbeitete mehr mit Formen und Strukturen. So fand ich meinen Weg in die Abstraktion, – die mir in ihrer Unendlichkeit den größtmöglichen Freiraum zum kreativen Schaffen bietet. Dabei schaue ich immer, was die Grafik braucht. Zwar kann ich die Abläufe auf dem Stein jetzt schon besser steuern, jedoch zeigen sich häufiger Überraschungen, mit denen man nicht immer rechnet. Vor einem Jahr haben mich diese Überraschungen fast zur Weißglut gebracht, weil mein vermeintlicher Plan nicht aufging. Jetzt freue ich mich über diese Geschenke und integriere diese im Entstehungsprozess der Grafik. Mir selber bis zum Schluss die Offenheit bewahren, das Endergebnis nicht zu kennen, lässt mich fokussiert und achtsam arbeiten. Meine Mittagspausen habe ich dann im wunderschönen Schlossgarten verbracht. Das Beobachten der vorbeiziehenden Wolkenformationen zwischen den Bergen fühlte sich an wie kostenfreies Freilicht-Kino. 

Fünf Arbeiten in jeweils fünffacher Auflagenhöhe.Meine Arbeiten sind in der Jahresausstellung der Druckwerkstatt Haldenstein in der Stadtgalerie in Chur zu sehen.
1. Nach dem Drucken der ersten Lavierung stelle ich fest, dass die Kombination der Blätter untereinander sehr wirkungsvoll ist.
2. Mittels Transparentpapier ermittle ich die Wirkung weiterer Formen.
3. Damit die weiteren schwarzen Linien sich von der schwarzen Lavierung abheben, druckte ich das obere Blatt flächendeckend mit einem Transparent-Weiß und das Untere mit Transparent-Schwarz.
4. Schlussendlich nähte ich beide Grafiken in der Mitte mit schwarzen Buchbindergarn zusammen.

Im Rahmen meines Atelier-Stipendiums organisierte die Werkstattleiterin Margrit Casutt einen gemeinsamen Abend mit den Mitgliedern des Vereins. Ich durfte einen kurzen Vortrag halten über meine bisherige Reise der Steine und meine Arbeiten präsentieren. Es war ein wunderschöner Abend mit vielen schönen Gesprächen. Vielen Dank für das Interesse und die Möglichkeit, meine Reiseerfahrungen mit euch zu teilen.

Ein kleines Highlight zum Schluss:

Kurz vor meiner Weiterreise in meine vorerst letzte Werkstattstation wollte ich tief in die Bergwelt eintauchen. Und wie es der Zufall so wollte, lebt und arbeitet eine Bekannte von mir auf einer Alp als Hirtin und betreut auf 2500 Höhenmetern 117 Kühe, 2 Hengste und 2 Ziegen. So machte ich drei Tage Urlaub bei ihr. Die Wanderung war einmalig und die Vollkommenheit der umliegenden Landschaft brachte mich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Endlich an ihrer Hütte angekommen war ich beeindruckt von ihrer Lebensweise und ihrem liebevollen Umgang mit den Tieren. Die Abgeschiedenheit war wohltuend nach den turbulenten letzten Wochen. Die Berge strahlten in ihrer Beständigkeit viel Kraft und Ruhe aus. Und egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit zeigte sich die Landschaft in einer Schönheit, die ihres Gleichen suchte. Sei es der sternklare Nachthimmel, die aufgehende Sonne hinter den Berggipfeln oder das unbeschreiblich schöne Licht- und Schattenspiel zwischen den Bergtälern. Mehrmals ließ es mich den Atem stocken. Zum Glück gab es das Vieh mit ihren geräuschvollen Glocken, die mich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart holten. Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte und nächstes Jahr in einer Extended Version nachholen möchte.

Und jetzt geht es zur letzten Station meiner Reise der Steine. Auf zu Tanja Fendt in die Druckwerkstatt Seon. Irgendwie gehe ich mit gemischten Gefühlen. Wissend das meine Reise bald endet, stellen sich gemischte Gefühle ein. Zwischen Frohmut, Neugierde, Traurigkeit und Nachdenklichkeit ist alles dabei. Naja, noch ist es nicht vorbei. Also, auf zur vorerst letzten Station.

 

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