Auf den Spuren der Lithografie. Ein über 200-jähriges, traditionsreiches Handwerk erlernen, bewahren und weitergeben.
Die Reise der Steine
…und Tschüss!

…und Tschüss!

März 2021 habe ich in der Grafikwerkstatt Dresden mit der Lithografie begonnen. Etwas mehr als eineinhalb Jahre später blicke ich auf eine arbeitsintensive Crowdfunding-Kampagne zurück, ein Umzug aus Dresden hinaus in die weite Druckgrafik-Welt und nach über hundert gedruckten Grafiken in 11 Werkstätten in Schweden, Schweiz, Deutschland, Frankreich und der Türkei später realisiere ich, dass die Reise der Steine über das Erlernen eines Handwerkes hinaus ging. Auf persönlicher und künstlerischer Ebene war diese Wanderschaft eine Grunderneuerung und bildet eine nachhaltige Basis für mein zukünftiges freiberufliches Schaffen. Ich lernte vielfältige Menschen unterschiedlichster Generationen und kulturellen Hintergrund kennen. Ich traf auf Gastfreundschaft, Unterstützung und einer großen Offenheit, das eigene Wissen weiterzugeben. Vorbei sind die Zeiten, in denen die alten Meister ihr Wissen mit ins Grab nehmen. Handwerk bleibt nur lebendig im unmittelbaren Austausch und der Förderung einer generationsübergreifenden Wissensweitergabe. Hier ein Rückblick, Einblick oder Überblick über einen so ganz anderen Abschnitt meines Lebens.

Vielleicht braucht es ein Buch?

14 Monate Reise im Detail wiederzugeben erfordert schon fast Buchformat. Es gibt einfach so viele Geschichten zu erzählen. Der magische Moment mit Li Portenlänger und Dr. Günther Viohl in den Steinbrüchen von Solnhofen, meine herzerwärmenden Raki-Abende mit meinen türkischen Freunden, der Moment, als ich in Kappadokien war und mir die letzten Sonnenstrahlen ins Gesicht schienen, oder als ich in den quirligen Gassen von Istanbul Lithografie-Steine entdeckte, die fantasievollen Wolken die zwischen den Bergen in der Schweiz hingen, das fürchterliche Geräusch, als mein erster Stein brach, oder das Glücksgefühl, als mir meine erste Auflage gelang und ich meine erste Lithografie verkaufte, oder als ich einer Freundin auf ihrer Alp in der Schweiz half, die Ochsen einzutreiben, oder meine Leidenschaft für Künstlerbücher entdeckte, die Woche in Schweden, die ich mit vielen weiteren Lithografie-Interessierten verbrachte, die Zeitspanne, als ich bei meinen Eltern war und meine Presse bei null Grad Außentemperatur restaurierte, oder als ich an meinem letzten Tag in der Schweiz mit Freunden den Film über den Dresdener Künstler Konrad Henker „Kunst im Eis“ sah und Plinsen aß.
Viele Menschen erlebte ich in ihrem Schaffen und Sein, durfte ihren Geschichten lauschen und Teil einer gemeinsamen neuen Erfahrung werden. Ich traf auf großartige Drucker:innen und Künstler:innen und auf Menschen, die mit all dem nichts am Hut haben, sondern andere ganz eigene Faszination hegen und mich damit in ihren Bann zogen. Manchmal fühlte es sich an wie als würde die Zeit stehen bleiben. Ich verbrachte viele Stunden in so vielen verschiedenen Werkstätten. Die Lithografie-Werkstatt war der Ort, an dem ich mich am wohlsten fühlte. Egal wo ich während meiner Reise war, die Werkstatt, die Steine gaben mir Sicherheit, Ruhe, ein Stück weit Normalität und ein Gefühl von angekommen sein.

» Saxa loquuntur – Die Steine sprechen« und was sie mir zu sagen hatten.

Ich begann meine moderne Wanderschaft mit dem naiven Gedanken, eine in sich geschlossene und geregelte Ausbildung verfolgen zu können bzw. auf eine gewisse Gleichheit in Bezug auf technische Abläufe zu treffen. Diese Vorstellung fand in der Wirklichkeit jedoch keine Anwendung. Egal in welcher Werkstatt ich war, überall traf ich auf einen anderen individuellen handwerklichen Ansatz. Teils wurde sogar das Wissen, welches ich mir in einer vorherigen Werkstatt aneignete, bei der nächsten Station wieder infrage gestellt. Anfangs trieben mich diese vielen Möglichkeiten fast in den Wahnsinn. Es dauerte eine Weile, die vielen von sich abhängigen Variablen, welche zu einer guten Lithografie führen, zu überblicken und flexibel darauf zu reagieren. Rückblickend bin ich jedoch sehr dankbar. In nur kurzer Zeit habe ich so eine wunderbare Bandbreite von Herausforderungen erleben dürfen sowie für Probleme facettenreiche Lösungsansätze gesehen und darf nun meinen eigenen handwerklichen Ansatz daraus ableiten. Ich lernte das Eigene im Neuen zu finden und legte mein „das ist richtig und das ist falsch“ Denken ab. Die Lithografie-Steine sind in ihrer Beständigkeit und Unverfrorenheit für mich schonungsloser Lehrer. Und ja, ich weiß – ich spreche hier von Steinen. Aber jede:r der schon einmal mit dem lithografischen Prozess in Berührung kommen durfte, weiß um die Hürden, die Ausdauer und den Frust, der in der Entstehung einer Lithografie aufkommen kann. Doch irgendwann übte ich mich in Akzeptanz, verstand den künstlerischen Akt als schöpferischen Prozess und empfand Freude darin, technische Grenzbereiche mit Fingerspitzengefühl auszuloten. Herausforderungen im Entstehungsprozess einer Lithografie gingen nicht mehr mit Panik und Überforderung einher, sondern ich verstand es, sie als unerwartete Geschenke anzunehmen. Was ich im Kleinen am Stein lernte, übertrug ich ins Große, in die Wirklichkeit »Leben«. Und ich bin tief davon überzeugt, dass der Reiz dieser handwerklichen Technik darin liegt, Herausforderungen einen neuen Wert zu geben, sie willkommen zu heißen und an ihnen zu wachsen.

Einfach machen – Mein Weg als Künstlerin.

Ein sehr wichtiger Schritt in Hinblick auf meine Entwicklung als Künstlerin war die tiefe Einsicht, dass eine akademische Ausbildung nicht der einzige Weg ist, um mir die Erlaubnis zu geben, Künstlerin zu sein. Damit möchte ich nicht behaupten, ein Kunststudium wäre überflüssig, ganz im Gegenteil. Die Schulung des eigenen künstlerischen Ansatzes ist ausschlaggebend, um künstlerisch zu arbeiten. Doch es gibt bekanntlich viele Wege nach Rom. Was ich brauchte, waren Mentorinnen und Mentoren, die mich begleiten, prägen, inspirieren und in ihrem eigenen Wirken authentisch sind. Diese Menschen fand ich – zum Glück – auch außerhalb einer Institution. Um meine eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vertiefen, braucht es Zeit, Fokus, Durchhaltevermögen, Geduld und die Offenheit zum Scheitern. Es braucht Disziplin, um dran zu bleiben und Commitment an der Sache selbst und in meinem Fall der Kontakt zum Leben mit all seinen schonungslosen Wahrheiten. Während meiner Reise der Steine lernte ich meine vermeintlichen Schwächen in Stärken zu verwandeln. Ich vertiefte nicht nur meine Kenntnisse über das Handwerk der Lithografie, sondern entdeckte auch meine Leidenschaft zu Künstlerbüchern und Papierobjekten. Meine Arbeiten wurden freier, ungezwungener und verspielter, immer suchend nach der Harmonie im Gegensätzlichen. So sind meine Künstlerbücher immer Unikate und nehmen die Buchform als Medium auf und haben doch den Drang, sich zu einem Objekt zu entfalten. Mit meinen lithografischen Papierobjekten komme ich der Frage nach, in welche Richtung sich eine Lithografie noch weiterentwickeln kann, wenn sie nicht für die Auflage auserkoren wurde.

»the stones keep on rolling« – Die Steine rollen weiter

Und aller Freude und Überschwänglichkeit zum Trotz brachte mich die Reise der Steine auch an meine Grenzen. Ein Alltag im herkömmlichen Sinne existierte nicht. Am Anfang gefiel es mir als Lithografie-Nomadin aller paar Wochen mein Rucksack zu packen und wieder loszuziehen, doch gerade zum Ende meiner Reise war ich von den vielen Eindrücken und Erfahrungen regelrecht erschlagen. Es war immer die Lithografie und ich, die Werkstatt und mein Streben, mich als Künstlerin und Lithografin weiterzuentwickeln. Rückblickend bin ich unglaublich dankbar, mir die Möglichkeiten mit so viel Hingabe arbeiten zu dürfen, ermöglicht zu haben und ich bestärke jede:n darin, den eigenen Weg zu finden. In Zukunft strebe ich nach mehr Balance und Gemeinschaft. Mein großer Wunsch ist die Eröffnung einer eigenen Werkstatt, in der ich nicht nur das Wissen weitergeben kann, welches mit mir so bereitwillig geteilt wurde, sondern Interessierten die Möglichkeit zu geben, sich auch von der Magie der Steine berühren zu lassen.

Ich möchte mich vom ganzen Herzen bei allen bedanken die mich auf meinen Weg unterstützt haben. Es würde das Internet lahm legen, wenn ich jetzt alle aufzählen würde. Ich trag euch alle in meinem Herzen und freue mich auf zukünftige gemeinsame Projekte.