Diesmal war es eine kurze Anreise. Seon ist weniger als eine zweistündige Zugfahrt von Chur entfernt und liegt in der Aargau ein Kanton im Norden der Deutschschweiz. Meine vorerst letzte Werkstattstation trete ich mit gemischten Gefühlen an. In mir regt sich große Vorfreude eine neue Werkstatt samt Werkstattleiterin Tanja Fent kennenzulernen. Und gleichzeitig macht sich nach über ein Jahr Reisen eine innere Erschöpfung in mir breit. Meine innere Stimme wird immer lauter und fordert ein, endlich anzukommen. Dennoch ist das Rucksack Ein- und Auspacken, das stetige Entdecken von Werkstätten und neuen Mitmenschen zu einer mir lieb gewonnenen Routine geworden. Und einmal bei Tanja angekommen wurde ich so liebevoll empfangen, dass mich trotz Erschöpfung eine Welle von Druckenthusiasmus überkam und ich sofort wieder in meinem Element war.
Drucken ist Gemeinschaft.
Die Druckwerkstatt Seon ist mit allem ausgestattet, wonach sich mein Druckerinnenherz sehnt. So beherbergen die Räumlichkeiten die nötige Infrastruktur, um Flach-, Tief- und Hochdruck anzuwenden. Ein angrenzender Raum ermöglicht Ausstellungen und ein Bettchen sowie Bad bietet Gästen einen Rückzugsort. Seid einigen Jahren betreiben Tanja Fent und ihr Kollege Markus Bider gemeinsam die Werkstatt, geben ihr Wissen weiter, organisieren gemeinsame Arbeitsprojekte mit anderen Künstler:innen und Drucker:innen, oder arbeiten an ihrem druckgrafischen Œuvre. Das Besondere an einer Werkstatt ist das Eintauchen in einen ganz eigenen Mikrokosmos. So sagt die Einrichtung und die Raumgestaltung und -aufteilung viel über die dort arbeitenden Menschen aus. In jeder Werkstatt gibt es etwas besonderes – den ganz eigenen Charme. Die Werkstatt von Tanja und Markus lässt zum Einen keine Wünsche mehr offen, ist groß und geräumig mit viel Platz zum Arbeiten und zum anderen begegnet man hier einer sehr liebevollen Gastfreundschaft. Und so kam es, dass ich neue und mir schon bekannte Gesichter wiedertraf. Und so werkelten wir alle gemeinsam in der Werkstatt. Ernst half Markus seine Grafik zu drucken und anschließend noch farbige Akzente zu setzten. Ich arbeite an einer Serie und schaute zwischendurch Ernst immer über die Schulter.Martin arbeite weiter an seiner Radierung und Tanja arbeitete auch an ihrer Serie. Alle gemeinsam arbeiten wir an einer Schablithografie da ich sehen wollte wie Ernst Hanke den Asphaltgrund aufträgt. Zwischendurch aßen wir lecker, fachsimpelten und genossen das Beisammensein.
Litholog
Noch immer inspiriert von dem diesjährigen Lithografie-Symposium und den vielseitigen Workshops der Symposiumsteilnehmenden wollte ich diese Eindrücke auch in der Zusammenarbeit mit Tanja einfließen lassen. Tanja kann dank ihrer langjährigen Erfahrung vielseitige und experimentelle Techniken und Herangehensweisen einbringen. Und da wir nur einen kurzen Zeitraum von einer Woche hatten, stellten wir uns der Herausforderung, mit einer Grafik anzufangen und diese immer weiter zu verändern, ohne zwischendurch den Stein zu schleifen. Wir wollten mit den vielen lithografischen Techniken, die der Stein ermöglicht spielen und uns gemeinsam mit der Grafik auf eine Reise begeben.
Und so entstand die Serie Litholog, die achtfache Zustandsveränderung von einer Zeichnung auf einem Stein. Diese Herangehensweise führt wirklich zu einem Dialog zwischen dem Stein und mir als Künstlerin immer der Frage nachspürend, was die Grafik als Nächstes braucht. Es hat etwas Wildes und Befreiendes, die vorherige Zeichnung auf dem Stein zu verändern oder sogar zu zerstören und daraus etwas Neues zu erschaffen. Ich begann mit einem Fototransfer von einer schwarz-weiß Kopie. Tanja zeigte mir, wie sie die Übertragung auf den Stein macht. Und dann begann das Spiel. Ganz zum Schluss machte ich eine Negativ-Umwandlung.
Ich druckte keine Auflage sondern machte immer jeweils zwei bis drei Abzüge. Ich muss immer im Hinterkopf behalten die ganzen Grafiken auch nach Hause transportieren zu können und nach fast zwei Monaten wieder am Stück unterwegs sein hat sich doch einiges an Materialien und Grafiken angesammelt. Das Ergebnis der Serie ist hier zu sehen.
An dieser Stelle möchte ich auch Tanja ihre Arbeiten präsentieren. Sie machte eine fünffache Zustandsveränderung vom Stein.
Der letzte Tag
Sonntag war mein letzter Tag in der Schweiz und auch vorerst auf meiner Reise der Steine. Noch kann ich diese Tatsache gar nicht begreifen und schiebe diesen Gedanken auch gerne mal bei Seite. Zu viele Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen sind noch zu verarbeiten und so viele Fragen stehen noch offen. Auf jeden Fall durften wir uns den Nachlass von Steindrucker Hans Bonfa ansehen. Der Schweizer Steindrucker hinterließ eine umfangreiche Sammlung an Lithografien, die er in Kollaboration mit Schweizer und internationalen Künstler:innen druckte. Ich war sehr beeindruckt und gerührt, sein Lebenswerk als Steindrucker näher zu betrachten. Für ihn war es nicht nur eine Arbeit, sonder auch seine Berufung. Und so wusste er, dass auch sein Handwerk mit den Jahren von moderneren Techniken abgelöst wird. Und so fertigte er eine Sammlung an, die sein Leben als Steindrucker „hinter den Kulissen“ wiederzugeben vermag. In minutiöser Kleinarbeit sammelte er alle Berichte und Fotografien über seine Ausbildungszeit als Steindrucker und alle Zeitungsartikel und Fotos, die sein späteres Wirken und Arbeiten als Steindrucker widerspiegelten. Wir hielten eine lithografische Biografie in den Händen. Ich war gerührt von so viel Liebe zum eigenen Handwerk und musste mir eingestehen, mich darin etwas wiederzufinden. Ich hoffe, dass für diesen Nachlass ein passender Ort gefunden wird, damit noch viele weitere Menschen diese lithografischen Lebensspuren zu Gesicht bekommen.
Zum Schluss wurden wir alle noch zu Ilse und Martin nach Hause zum Plinsen essen eingeladen. Gemeinsam genossen wir die letzten Sommerstrahlen auf dem Balkon und aßen eine Plinse nach der anderen. Mit gefüllten Bäuchen präsentierte uns Martin dann den Film „Kunst im Eis“ über das Wirken und die Arbeitsweise des Dresdner Künstlers Konrad Henker. Und ich war fasziniert. Nicht nur von der Tatsache, mit XXL-Radierplatten für mehrere Monate in einem Iglu in den Bergen zu leben und zu arbeiten. Nein, nicht nur das. Es war seine Klarheit und Kompromisslosigkeit im Hinblick auf sein schöpferisches Schaffen, die mich tief beeindruckten. Er bezieht eine Alternative zum Künstler sein gar nicht erst in Betracht. Und diese tiefe innere Einsicht, diese Hingabe, Klarheit und das eigene Bekenntnis zum künstlerischen Schaffen hat mich sehr inspiriert. Dieser Film kam genau im richtigen Moment. Die letzten Wochen habe ich mir häufig die Frage gestellt wo ich nach meiner Reise der Steine wieder „landen“ möchte. Wie es danach weitergehen soll. Und allein schon dieser Film, der Ausschnitte aus meiner geliebten Stadt Dresden zeigte oder auch Momentaufnahmen in der Grafikwerkstatt Dresden – meinem druckgrafischen Heimathafen, haben in mir nicht nur schöne Erinnerungen wachgerufen sondern auch eine gewisse Sehnsucht geweckt, wieder an diesen Ort zurückzukehren. Und so nehme ich mir ein Beispiel an Konrad Henkers Klarheit und Kompromisslosigkeit, immer den eigenen Herzen zu folgen und keine Alternative zum künstlerischen Schaffen zu sehen. Ahoi!