Für drei Monate bin ich hin Halle an der Burg Giebichenstein bei Lithograph Stephan Rosentreter zu Gast. Nach einem langen Winter gibt es nichts Besseres, als das Semester mit dem Frühlingserwachen zu starten. Der Campus ist wunderschön und setzt kreative Energie frei. Neben der Lithografie-Werkstatt ist mein Lieblingsort der Kirschbaum vor den grafischen Werkstätten. Wie viele Mittagspausen habe ich hier verbracht und das Aufblühen der Kirschblüten Tag für Tag beobachten können. Von hier aus habe ich den besten Blick hinein in die schöne Gartenanlage und mit dem Aufblühen der Kirschblüten wurde es auch auf dem Campus immer lebendiger.
Die Burg Giebichenstein – Gasthörerschaft an einer Kunsthochschule
Die Burg Giebichenstein wurde 1915 gegründet und ist mit über 1000 Studierenden eine der größten Kunsthochschulen in Deutschland. Mit ihren zwei Fachbereichen bietet die Hochschule 20 Kunst- und Designstudiengänge an. Mein Fachbereich mit der Fachklasse „Grafik“ hat ihren Sitz in der Unterburg direkt neben der Saale. Tatsächlich kenne ich keinen schöneren Campus. Selbst mein täglicher Fahrradweg führte entlang an der wilden Saale und hätte nicht schöner sein können. Jeden Tag freute ich mich in meine Burgwelt einzutauchen, durch die Gartenanlage zu gehen, in die Ateliers der einzelnen Klassen zu spähen und dann schnurstracks in die Werkstatt zu gehen und mich meiner Lieblingsbeschäftigung – Lithografie – zu widmen. Es waren schöne drei Monate. Neben der Lithografie-Werkstatt und meinem Lieblings(pausen)platz unter dem Kirschbaum bot die „Burgwelt“ allerhand Möglichkeiten für Ausstellungen und gute Gespräche. Wöchentlich gab es Vernissagen, Finissagen, Filmabende, Künstlergespräch hier und dort, und als die lauen Sommernächte endlich da waren, gab es auch immer leckere Feierabend-Limo am Blauwagen (ein Campus-interner Bauwagen mit blauem Farbanstrich und leckeren Getränke und Kuchenangebot).
Wie schon erwähnt war ich zu Gast bei Stephan Rosentreter. Er hat noch bei Steindruckmeister und Urgestein Christian Müller gelernt und den Steindruck von der Pike auf gelernt. Später entschloss er sich mit Tobias Reinicke, auch Steindrucker und Lehrling von Christian Müller, das lithografische Atelier Leipzig in der Baumwollspinnerei zu gründen. Seitdem drucken sie für namhafte Künstler wie Neo Rauch, Rosa Loy und Tilo Baumgärtel. Ich wusste also: Hier kann ich viel lernen. Und so war es auch. Stephan hat mit seiner langjährigen Erfahrung die einzelnen Variablen im Entstehungsprozess einer Lithografie auf ein Wesentliches reduziert. Viel habe ich von seiner Herangehensweise in meinen handwerklichen Ansatz übernommen – bspw. das Körnen des Steines mit einer Glasscheibe, das Schleifen mit nur zwei verschiedenen Kornstärken und natürlich die wunderbare Technik der Schablithografie und ja, auch das scharfe Ätzen. (Wenn du Stephan das irgendwann mal ließt, wirst du sicherlich an dieser Stelle schmunzeln.) 🙂
Aber zurück auf Anfang. Als ich an die Burg Giebichenstein kam und meine ersten Wochen in der Werkstatt arbeitete ging irgendwie alles schief. Sei es das mein erster Stein den ich drucken wollte gleich mal gebrochen ist und damit auch ein Stück in meinem Lithografinnenherzen zerbrach, oder ich sehnsüchtig die neue Papierlieferung abwartete, oder ich mich schwer tat eine künstlerische Idee auf den Stein zu bringen. Egal was, ich merkte mir ist der Flow abhanden gekommen. Noch dazu war ich jetzt zu Gast in einer Werkstatt die schon so viele talentierte Künstlerinnen und Künstler hervorbrachte und so schüchterte mich die Vielzahl von ausdrucksstarken Belegexemplaren ehemaliger Studierender etwas ein. Ähnliche Erfahrungen habe ich auch immer in anderen Werkstätten gemacht. Jetzt war es an der Zeit, das Muster dahinter endlich zu verstehen und aufzulösen. Jedes Mal bin ich mit einer vorgefertigten Idee und einem Plan in eine neue Werkstattstation gestartet. Ich hatte ganz konkrete Vorstellungen, was ich schaffen wollte. Für mich war das eine sehr sinnvolle und sichere Herangehensweise, um die mir zur Verfügung stehende Zeit optimal zu nutzen. Das ich mir damit selber Steine in den Weg legte, verstand ich dann immer erst, als mich mein innerer Wille gegen imaginäre Wände laufen lies. Irgendwann ging mir ein Licht auf: Ich nähre mich von dem Raum, der mich umgibt. Ich wusste, dass ich nur weiterkommen werde, wenn ich mich wirklich auf den Ort, die Werkstatt und die Menschen, die diesen Ort prägen und gestalten einlasse. Immer das Besondere sehen und diesem Besonderen Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegenbringen. Es war ein bewusster Schritt, meine Augen für meine Umgebung zu öffnen, meine Erwartungen und Pläne wirklich loszulassen und die Quintessenz, die diese Werkstatt zu etwas besondern macht, Beachtung zu schenken. Die vielen Grafiken von ehemaligen Studierenden, die mich immer in ein Staunen versetzten, wurden meistens mittels der Schabtechnik kreiert. Detailreiche und ausdrucksstarke Lithografien mit wunderschönen Grauwerten und sanften Übergängen. Ich wollte mich dieser Technik annehmen, trotz Ängste zeichnerisch nicht an das Niveau heranzureichen, welche die Grafiken vor Ort vorwiesen. Meine neuen Erkenntnisse offenbarte ich gleich Stephan und wir entschieden, die Schablithografie in mein Lehrplan aufzunehmen. Er zeigte mir, wie ich die Flüssigkeit aus syrischen Asphalt und Balsamterpentinöl herstelle und damit deine rehbraune Asphaltschicht auf den Stein auftragen. Meine ersten Versuche erzielten nicht eine rehbraune und dünne Asphaltschicht auf dem Stein, sondern eher eine dunkelbraune Schokoladenglasur. Aber mit jedem Mal wurde ich besser. Und es machte wirklich Spaß, eine Schablithografie entstehen zu lassen. Anstatt mit herkömmlichen auf fettbasiertem Material zu arbeiten, nutze ich alle denkbaren Materialien, um diese zarte Oberfläche zu verändern.Messerchen, Stäbchen, Schleifpapier in jeglicher Stärke fanden ihre Anwendung.
Eine Schablithografie zu kreieren fühlte sich eher so an als würde man an einem dreidimensionalen Objekt arbeiten und die Zeichnung aus dem Stein herausformen. Es war auf jeden Fall ein anderes Arbeiten mit dem Stein als ich es vorher kannte. Schon lange wollte ich wieder eine Möglichkeit finden für längere Zeit am Stein zu arbeiten. Mit meinen herkömmlichen Tuschearbeiten war ich mit dem kreativen-schöpferischen Prozess immer so schnell fertig, dass sich immer häufiger der Wunsch in mir zeigte wieder mehr Zeit genau diesem kreativen-künstlerischen Prozess zu geben.
Mit der Schablithografie habe ich da auf jeden Fall meine Antwort gefunden und sahs mehrere Tage oder auch eine komplette Woche an einer Schablithografie. Und so entstanden in meiner Zeit an der Burg Giebichenstein mehrere Schablithografien. Einige kombinierte ich auch mit meinen bevorzugten Tuschelavuren. Und so geschah es, dass die drei Monate in Windeseile vergingen und ich schon bald wieder meinen Rucksack packen musste. Diesmal geht es nach Offenbach in die Geburtsstätte der Lithografie.